Laufbegleiter für Sehbehinderte und Blinde
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In Deutschland leben ca. 1,2 Millionen blinde und sehbehinderte Menschen. Für sie ist, wie für alle Menschen mit Behinderungen, von grundlegender Bedeutung, welche speziellen Möglichkeiten der gesellschaftlichen Teilhabe und Teilnahme sie vorfinden.
„Blindheit geht immer […] mit einer Einschränkung des räumlichen Orientierungsvermögens einher. Dieses kann auf akustische und taktile Weise erweitert werden. Eine Reihe von blindenspezifischen Hilfsmitteln erleichtert das tägliche Leben, jedoch können diese zu entsprechender Abhängigkeit in mehrerlei Hinsicht führen. Eine unabhängige, selbständige Lebensführung ist Ziel der meisten Betroffenen, eine relative Hilfsbedürftigkeit bleibt jedoch häufig bestehen. Oft führen mangelnde Bildungsmittel, Berufschancen und reduzierte autonome Mobilität und Sozialkontakte zu Problemen, die sich in sozialem Rückzug ausdrücken können“ (http://de.wikipedia.org/wiki/Blindheit).
Wie wichtig gerade körperliche Mobilität für blinde Menschen ist, wird im Hinblick sowohl auf Umwelt- und soziale als auch auf Körper- und Gesundheitsbelange deutlich. Mit dem Zugang zu Bewegungs- und Sportangeboten öffnen sich in gleich mehrfacher und förderlicher Weise Aktions- und Interaktionsräume, die mit einer Verbesserung des Befindens und der Lebensqualität der Ausübenden einher gehen.
Zu den Bewegungs- und Sportarten, die für Blinde besonders geeignet sind, zählen Gehen, Laufen und Radfahren, also jene Bewegungsmuster, die motorisch gleichmäßig und ruhig vonstatten gehen und zugleich den gesamten Körper aktivieren. Hierbei versteht sich von selbst, dass neben dem Laufband und Ergometer zu Hause das Sich-Bewegen im Freien eine aktive Begleitung voraussetzt – in aller Regel eins-zu-eins.
Die Anfälligkeit blinder und sehbehinderter Menschen für körperliche und seelische Belastungen und Beeinträchtigungen rückt sie in den Blick der Lauftherapie. Für Lauftherapeuten kann es sinnvoll sein, ihr Angebot für diese Zielgruppe zu erweitern oder sich gar ganz auf sie zu spezialisieren. Eine (Zusatz-) Ausbildung zum „Laufbegleiter oder Runningguide für Sehbehinderte und Blinde“ hilft dabei.
In Deutschland wird eine solche Schulung von „Lauftandem“ in Berlin-Karow angeboten (www.lauftandem.de), in der Schweiz vom „Lauftreff beider Basel“ in der am Dreiländereck Schweiz-Deutschland-Frankreich gelegenen Stadt Basel (www.blind-jogging.ch).
Wenn ich nachfolgend, um einen Einblick zu vermitteln, ausführlich von der schweizer Schulung berichte, dann deshalb, weil meine Frau und ich diese in 2014 absolviert haben. Den Ausschlag dafür hatte das vom Schulungsleiter Gabor Szirt selbst stammende Buch „Laufsport für und mit Sehbehinderten“ (Friedrich Reinhardt Verlag, Basel, 2009) gegeben, das ich zuvor gelesen hatte und das mich sehr beeindruckte.
Szirt, Jahrgang 1949, ist Läufer und Leiter des Schweizer Vereins „Lauftreff beider Basel“. Er hatte 2006 mit Unterstützung der Sehbehindertenhilfe Basel das Projekt „Laufsport für Sehbehinderte“ initiiert. Seine Motivation beschreibt er pragmatisch: „Als sehender Läufer hat man die Voraussetzungen, einem Sehbehinderten den Laufsport zu ermöglichen“ (Szirt, 2009, S. 8).
Dass Basel ein guter Ort für ein solches Angebot war und ist, hat einen einfachen Grund: Menschen in der Schweiz, deren Sehkraft schwächer wird oder die durch Unfall oder Krankheit erblinden, kommen hierher, damit ihre weitere berufliche und Lebensperspektive abgeklärt wird. Von ihnen entscheidet sich etwa eine von 50 Personen für das beworbene Laufangebot.
Rasch war dem Verantwortlichen Szirt klar, dass er alleine diese Arbeit nicht würde leisten können. So rekrutierte er weitere Läufer für die Führarbeit. In Spitzenzeiten standen ihm dafür bis zu 25 Guides zur Verfügung. Dreimonatspläne weisen die Trainingszeiten der gebildeten Paare bzw. Tandems aus. Sie starten vom Blindenheim oder vom jeweiligen Wohnort des Sehbehinderten aus. Die einen trainieren leicht, die anderen leistungsorientiert. Nicht wenige nahmen schon an Laufveranstaltungen teil; einer bewältigte gar die 100 km von Biel, mit Hilfe von fünf Guides.
2009 veröffentlichte Gabor Szirt „Laufsport für und mit Sehbehinderten“. Er erzählt dazu: „Anfragen von Läufern und Sehbehinderten aus verschiedenen Regionen der Schweiz haben mich dazu motiviert, die Erfahrungen aus vielen hundert Trainingsstunden in diesem Buch zusammenzufassen. Diese und auch die Erfahrungen bei der Begleitung von Sehbehinderten an vielen Volksläufen, Bergläufen und Staffeln haben mir geholfen, die wesentlichen Maßstäbe für das Training zu setzen und die zuvor bereits bekannten, in der Literatur jedoch kaum dokumentierten Methoden zu optimieren“ (Ebd., S. 9).
Das Buch ist Grundlage der Ausbildung zum „Running-Blindenguide“. Diese findet, aus guten Gründen, mit maximal drei Teilnehmern statt. Beate und ich absolvieren sie zu zweit.
Bei unserem ersten Aufenthalt bekommen wir eine halbtägige Einweisung – theoretisch wie praktisch. Nach einer allgemeinen Einführung ins Thema lernen wir die wesentlichen Grundlagen des Führens kennen und machen Selbsterfahrungen im Laufen ohne zu sehen. Schließlich treffen wir die blinde Läuferin Ruth, beobachten Gabors Führverhalten bei ihr und schlüpfen danach selbst in die aktive Rolle. Das Ganze sowohl entlang von Straßen als auch in einem Park.
Bis zum zweiten Termin arbeiten Beate und ich das Handbuch durch und üben mehrmals gegenseitig die korrekte Umsetzung. Es erstaunt uns, wie komplex die Anforderungen sind – in beiden Rollen: Als Nicht-Sehende bzw. Geführte
- den erhaltenen Anweisungen blind zu vertrauen,
- sie bestmöglich umzusetzen und
- sich aus der anfänglichen Unsicherheit und Verkrampfung heraus frei zu laufen.
Als Sehende bzw. Führende
- ein aufeinander abgestimmtes Bewegungsverhalten herzustellen,
- Wechsel der Bodenbeschaffenheit und der Laufrichtung sowie Hindernisse zu antizipieren,
- rechtzeitig die entsprechenden verbalen und taktilen Signale zu geben und
- nicht nur das Nahumfeld im Blick zu behalten.
Es sind diese Vielfalt der notwendigen Selbstvergewisserungen, das geforderte Maß an Aufmerksamkeit und Umsicht sowie die stetig hohe Bereitschaft zum Agieren und Reagieren, die die Übungsstunden für Neulinge so spannend, aber auch anstrengend machen.
Gabor Szirts „Erfahrung in der Ausbildung von Begleitern zeigt, dass diese Qualifikationen durchaus lernbar sind. Mit der Beachtung der wesentlichen theoretischen Punkte und etwas Übung können in relativ kurzer Zeit beachtliche Erfolge erzielt werden“ (Ebd., S. 33). Und in der Tat: Als wir zum zweiten Mal anreisen, um an zwei aufeinander folgenden Tagen jeweils noch einmal Ruth und dann Hans zu führen, wird unser Lernzuwachs sicht- und fühlbar. Dennoch: Auch wenn Vieles schon leichter und besser „von der Hand geht“, finden Gabor und sein Assistent Reto noch einige Aspekte, die zu optimieren sind. Auch die Vermittlung des Stretchens sorgt für manches Erstaunen und Umdenken unsererseits. Insgesamt war aber schön zu sehen, wie gelassen und mit wie viel Humor Ruth und Hans alle unsere Unsicherheiten und Fehler nahmen.
Bei der Zertifikatsübergabe ging es natürlich nicht darum, bereits ein perfekter Blindenguide zu sein. Im Kurs sollen Grundwissen und Basisfähigkeiten erworben werden, die den verantwortlichen Schritt in eine Praxis des sich vervollkommnenden Tuns zulassen. Dazu ist für die Baseler Ausbildung – als ein von „PluSport“ (Behindertensport Schweiz) anerkannter Weiterbildungskurs – Voraussetzung, ein/e erfahrene/r Läufer/in zu sein, mindestens aber eine Stunde mit einem 7er-Schnitt laufen zu können.
Als wir uns von Gabor verabschieden, geschieht dies – wie so oft zwischen Läufern – auf sehr herzliche Weise. Es war nicht nur lehrreich, sondern auch sehr berührend gewesen, die Ausbildung gemacht zu haben. Wir gehen mit einer großen Achtung vor Gabors Engagement wie auch vor der Art und Weise, wie Menschen mit Blindheit ihren Alltag meistern.
Für die mittlerweile in Berlin angebotene Schulung zum Laufbegleiter für Sehgeschädigte zeichnen in persona Kirsten Ulrich und Thomas Kaupel verantwortlich. Sie wirken im Stadtteil Karow für den Sporttreff Karower Dachse e.V. und für die Gesundheitsinitiative „Karow aktiv“ wirken. Auch hier heißen die Ausbildungsziele: Selbsterfahrung im Laufen ohne zu sehen, Kennenlernen der Hilfsmittel, Kommunikation und Kommandos, Begleiten eines Tandems und selbständiges Begleiten eines sehbehinderten oder blinden Läufers.
Weitere Informationen
Verein Blind Jogging Basel
Ausbildung zum Blindenguide
Kosten: CHF 100,00 für Kurs, Blindenweste, https://www.viagrapascherfr.com/acheter-du-viagra-au-maroc/ Führ-Band und Kurszertifikat
Trainer-Leitfaden
Gabor Szirt: Laufsport für und mit Sehbehinderten. Basel 2009: Friedrich Reinhardt Verlag, ISBN 978-3-7245-1617-0, 88 Seiten, CHF 29,50 bzw. € 19,80
Lauftandem